Das Rätsel des barocken Abendmahlkelchs von Altstadt

Von Martin Baus

 

Seit 1962 hat Altstadt wieder eine eigene Kirche. Auf dem Galgenberg an exponierter Stelle errichtet, soll sie mit ihrem Namen und mit ihrer Form an die frühere Altstadter Martinskirche erinnern, die fast tausend Jahre lang dort stand, wo sich heute der Friedhof befindet. Wie dieses alte Gotteshaus, das als Mutterkirche der Zweibrücker Karlskirche gilt, aussah, ist nur ansatzweise nachvollziehbar. Lediglich alte Ortspläne und die Karte von Tilemann Stella aus dem Jahre 1564 lassen die Gestalt erahnen. Dass im Jahre 1793 französische Revolutionstruppen den Dachstuhl und das Gestühl zum Schanzenbau gegen die Preußen auf dem Galgenberg verwendet haben, ist bekannt, ebenso, dass die Ruine der Kirche dann 1829 abgerissen wurde. Unbekannt dagegen ist der Verbleib eines wertvollen Gegenstandes, der sich beim Inventar der Martinskirche befand: Ein silberner Abendmahlskelch, der vergoldet war, ist seit 1819 verschwunden.

Am 1. Januar 1575 wurde die Altstadter Pfarrei von Graf Albrecht von Ottweiler für evangelisch-lutherisch erklärt. Die Ottweiler Grafschaft stiftete der Altstadter Martinskirche bald darauf den besagten Kelch. Nachdem im Jahre 1635 - nach den Zerstörungen des 30-jährigen Krieges - Pfarrer Wohlleben Altstadt verlassen hatte, wurde der Barock-Kelch nach Homburg gebracht. Von dort aus wurde die verwaiste Pfarrei in Altstadt fortan versorgt, der Kelch wurde viermal im Jahr zur Feier des Abendmahls zurückgebracht. 1767 stellte die Pfarrei ein Verzeichnis über ihr Inventar auf, nach dem neben "zwo zinnernen Weinkannen, einer neuen und einer sehr alten", "einer Leiter im Kirchturm zur Besteigung der Glocken", "einer runden zinnernen Hostien Cappsel" auch der "silbern übergoldete Kelch" aufgeführt, der aber „in Homburg aufgehoben und daselbst gebraucht" werde.

Im Jahre 1817, als die Kirche als Ruine nunmehr schon gut zwei Jahrzehnte unbenutzbar war, forderte das Bürgermeisteramt in Limbach die Altstadter Pfarrei auf, den Kelch zu verkaufen und mit dem Erlös die Kirche zu reparieren. Den Wert des Kelches gab das Amt mit 500 Gulden an. Wenn man bedenkt, dass ein Zimmermann aus Homburg sich bereit erklärt hatte, die doch immensen Schäden an der Altstadter Kirche für 300 Gulden zu reparieren, so kann man erkennen, wie wertvoll der Abendmahlskelch doch war.

Verkauf und Reparatur aber unterblieben. Der Limbacher Pfarrer Friedrich Jakob Heintz, der offensichtlich Gefallen an dem Kelch gefunden hatte und das Abendmahlsgerät gern in Limbach gesehen hätte, bemühte sich nach der Union der protestantischen Kirchen in der Pfalz im Jahr 1818, das betreffende Abendmahlsutensil in seine Hände zu bringen.

Als sich die Altstadter Protestanten jedoch dagegen wehrten, erließ der damalige Landkommissar Siebenpfeiffer auf Drängen des Pfarrers und des Homburger Dekans Gottfried Weber sogar den Befehl, dass der Kelch mit polizeilicher Gewalt nach Limbach gebracht werden sollte.

Viele Personen wurden in Altstadt verhört, sich widersprechende Aussagen ließen jedoch für die Beauftragten des Landkommissars kein Bild über den Verbleib des Kelches zu. So wurde angegeben, dass man ihn verkauft habe, damit er nicht in die Hände der "Union" - womit man die Pfarrei Limbach meinte - falle. Jakobiner hätten ihn mitgenommen, er sei nach Lothringen verkauft worden, im Pfarrhaus in Homburg sei er von gottlosen Soldaten gestohlen worden und einige andere Versio­nen sorgten dafür, dass der Verbleib des Kelches nicht geklärt werden konnte. Pfarrer Heintz ereiferte sich bei einem Gottesdienst in Niederbexbach derart über das renitente Verhalten der Altstadter Protestanten, dass ihn am 10. Januar 1819 auf der Kanzel der Schlag traf.

Dass danach einige Legenden um den wertvollen Abendmahlskelch der früheren Pfarrei Altstadt entstanden, liegt auf der Hand. Sogar Wünschelrutengänger sollen eingesetzt worden sein, um den Kelch auf dem Acker oberhalb der Stelle, wo die alte Martinskirche gestanden hatte, zu finden. Dort sei das "Gescherr vunn de Kerch" – wie Karoline Herrbruck („Schuhmacher Line“) immer sagte - vergraben worden, hieß eines der Gerüchte, die im Umlauf waren. Doch alle Bemühungen blieben vergebens. Der Kelch ist bis heute verschwunden.